Geschichte und Geschichten zur Rosenthaler Gemarkungsgrenze Süd, 26.04.2013

Schon seit alten Zeiten gibt es Grenzen, deren jetzige Form aus dem 15.Jahrhundert stammt. Ihr Ursprung reicht aber bis in das 7. Jahrhundert vor Christi Geburt zurück. Aus dem polnisch / russischen Wort „granica" (Grenze) stammt dieser Begriff der von den Sorben, ein westslawischen Volksstamm, im 13..Jahrhundert in den deutschen Sprachgebrauch übernommen wurde.
Das Recht auf Nutzung von Grund und Boden wurde durch Grenzen festgelegt, wobei Bäume, Gräben, Erdwälle, Steinbrüche und Bäche zunächst als natürliche Begrenzung dienten. Mit dem allmählichen Übergang von Grund und Boden in Privateigentum erfolgte eine Abgrenzung durch Grenzsteine.
Im Burgwald treffen wir auf Grenzen die die Funktion von Gemarkungs-, Wald- und Kreisgrenzen haben. Buchstaben, Ziffern und Zeichen sind den Grenzmarken zu entnehmen. Wer diese Markierungen zu lesen versteht, dem öffnet sich der Blick für die Geschichte seiner Umgebung. Die südöstliche Gemarkungsgrenze der Stadt Rosenthal verläuft ab Endpunkt des neuen „Grenzsteinwanderwegs Nord - Ost" in der Höhe der Gemarkung von Hertingshausen am „Alten Gemündener Weg", gemeinsam mit der Kreisgrenze Waldeck - Frankenberg zu Marburg -Biedenkopf gen Süd - Südwest. Dieser Grenzabschnitt zeigt uns weitere historische Grenzmale mit den eingmeißelten Symbolen „R" (Rosenthal) und „H" (Hessen), sowie die seitlich in Stein geschlagenen Nummern in fortlaufender Folge. Vereinzelt ist auch die Jahreszahl 1840 (Steinsetzung) zu erkennen. Einige historische Steine sind zweifellos entfernt worden oder im sumpfigen Boden versunken.

Über etwas ganz besonderes konnte sich Obmann Helmuth Vaupel beim Aufspüren historischer Steine an diesem Grenzverlauf freuen. Der Stein Nr. 15, unweit des „Steinigen Weges", einer Wegverbindung zwischen Rosenthal und Hertingshausen, trägt auf der Westseite in Stein geschlagen den ausgeschriebenen Ortsnamen „ROSENTHAL". Auf der Steingegenseite ein H = Hessen. „Eine solche Inschrift auf einem solch prächtigen Stein findet man nicht jeden Tag. Dies ist der Lohn für oft mühevolle Kleinarbeit die mit dem Aufspüren und Dokumentieren von historischen Grenzsteinen um Rosenthal einhergeht ", so der Obmann. Auch diese historischen Steine des Grenzabschnitts Süd werden inventarisiert und dem zuständigen Amt für Bodenmanagement und Geoinformation zur Aufnahme in das Liegenschaftskataster übergeben.
Dieser Bericht erinnert aber auch an die Verdienste des Landgrafen Karl mit der Ansiedlung von Hugenottenfamilien in Hertingshausen und an die Gründung des Eisenhammers in Rosenthal.

Das Hugenottendorf Hertingshausen

Der Wohrataler Ortsteil Hertingshausen liegt am Ostrand des Burgwaldes und gehört zum Landkreis Marburg - Biedenkopf. Der ehemalige Eisenhammer -heute reine Wohnimmobilie- liegt an der südlichen Landkreisgrenze Waldeck - Frankenberg. Beide haben etwas gemeinsam, ihnen wurde auf unterschiedliche Art vor über Dreihundert Jahren durch den Hessischen Landgrafen Karl große Beachtung geschenkt.
Hertingshausen wie auch Gemünden und weitere Orte am Rande des östlichen Burgwaldes, sind Gründungen der Ziegenhainer Grafen aus dem 13. + 14.Jahrhundert. Die Grafschaft Ziegenhain war 1450 nach dem Tod des letzten Grafen an die Landgrafschaft Hessen gefallen. 1471 wurde Hertingshausen wüst und als hessisches Lehen der Gemündener Burgmannenfamilie Schleyer übergeben, die wiederum 1615 dem Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel das hessische Lehen, den Hertingshäuser Wald, verkaufte. Dem Amt Rauschenberg war ab 1647 die Wüstung, später auch der Ort unterstellt. Hiermit findet auch das in Stein gemneißelte Symbol (H) = Hessen an der Kreis- und Gemarkungsgrenze seine geschichtliche Begründung. Anzumerken bleibt noch, daß zu Zeiten der Ziegenhainer - Herrschaft zwischen Hertingshausen und der mainzischen Stadt Rosenthal die Grenze zwischen „Kurmainz" und der „Landgrafschaft Hessen" verlief. Eine Neubelebung von Dauer erfuhr Hertingshausen am 07.August 1694. Landgraf Karl von Hessen - Kassel stellte drei Hugenottenfamilien aus Schwabendorf, Hertingshausen zur Besiedlung zur Verfügung. Die Siedlung hat sich dank reichlicher Landausstattung rasch zu einer wohlhabenden Kolonie entwickelt. Zusätzlich übten auch die Bewohner von Hertingshausen in vorindustrieller Zeit in großem Umfang Heimtextilgewerbe aus. Von der ursprünglichen Bebauung des Ortes ist nur wenig geblieben, Kirche und ehemaliges Schulhaus stammen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Dorfgemeinschaftshaus hält eine Bilderpräsentation die Erinnerung an die historischen Wurzeln des Ortes und seiner Bewohner wach.

Landgraf Karl und die französischen Glaubensflüchtlinge

Landgraf Karl aus dem Hause Hessen war von 1670 bis zu seinem Tode am 23. März 1730 Herrscher der Landgraf Hessen - Kassel. Bis 1675 regierte seine Mutter als vormundschaftliche Regentin, bevor Karl die Regierungsgeschäfte für die folgenden 55 Jahre übernahm.
Unter seiner Herrschaft, die in wirtschaftlicher Hinsicht ganz im Zeichen des Merkantilismus stand, wurden die Folgen des Dreißigjährigen Krieges (1618 - 1648) schneller überwunden als dies in anderen Regionen in Deutschland der Fall war. Der Dreißigjährige Krieg hatte die Bevölkerung dezimiert und verarmt, Landwirtschaft und Handel lagen darnieder. Da war es richtig, französische Glaubensflüchtlinge mit ihren individuellen Fähigkeiten ins Land zu holen und ihnen nicht nur Asyl, sondern auch gesicherte wirtschaftliche Unterstützung zu bieten.
Hierzu erließ Karl am 18.April 1685 die „Freiheitskonzession", die den aus Frankreich vertriebenen Hugenotten und Waldenser freie Ansiedlung sowie eigene Kirchen und Schulen zusicherte.
In der Folgezeit kamen etwa 4000 verfolgte Protestanten nach Nordhessen, die neben Kassel und Karlshafen in weiteren 19 kleineren Orten angesiedelt wurden. Hier sollten sich die Hugenotten und Waldenser eine neue Heimat aufbauen, denn die Kriegswirren hatten für einen ernormen Aderlaß an Handwerkern und Baumeistern gesorgt. Nirgendwo sonst in Deutschland wurden die Glaubensflüchtlinge im Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung so zahlreich aufgenommen wie in Nordhessen. Mit dem Siedlungsprogramm in den zerstörten und entvölkerten Landstrichen wurde im Jahr 1686 begonnen. Aus dieser Zeit stammen auch zahlreiche Ortsgründungen, die sich um Rosenthal herum finden, so: Schwabendorf, Todenhausen, Wiesenfeld, Louisendorf und wie vorgenannt Hertingshausen. Das entschlossene Handeln des Landgrafen Karl zeigt, daß Grenzen nicht nur Trennendes, sondern auch Verbindendes sein können.

Karl fördert die Wirtschaft

Landgraf Karl förderte aber auch den Aufbau der Wirtschaft. So gründete er 1679 den ersten metallverarbeitenden Betrieb in Hessen. Es folgten weitere Gründungen, wie auch 1681 der „Eisenhammer" in Rosenthal an der Südgrenze am Bentreff - Bach gelegen. Schon während der Regierungszeit des Landgrafen Ludwig IV. von Hessen - Marburg (1567 - 1604) soll ein Eisenhammer in Rosenthal eingerichtet worden sein, über den sich aber keine Nachweise finden ließen.
Der damalige Rosenthaler Bürgermeister Conrad Hilgermann sah im Aufbau des Eisenhammer eine große Chance für seine Heimatstadt, um wieder Handel und Handwerk zu beleben. Die Stadt überließ dem Eisenhammer Ländereien rund um das Werk. In einer im Marburger Staatsarchiv verwahrten sechsseitigen Schenkungsurkunde vom 29. Dezember 1686 wird amtlich bekundet, daß die Stadt Rosenthal dem Eisenhammer „zwei Wiesenplacken oberhalb und innerhalb des Deichs" der „Gnädigsten Herrschaft" geschenkt hat. In der gleichen Urkunde wird erwähnt, daß sich die Stadt für das „fürstliche Präsent als einen vergüldeten Becher und zehen Wagen Eissen" bei der „Hochfürstlichen Durchlaucht unterthenigst" bedankt.
Dieser vergoldete Silberbecher mit zwei kleineren, von Bürgermeister Ochs und Ratsherren gestifteten Bechern, werden in einem Stahlschrank im Amtszimmer des Bürgermeisters aufbewahrt. Mit dem vergoldeten Silberbecher hat Landgraf Karl das Geschenk der Rosenthaler zu würdigen gewußt.

Der landgräfliche Eichhammer

Die Eisenhütte verfügte zunächst über einen kleinen Blauofen, der aber schon 1685 durch einen größeren Hochofen abgelöst wurde. Somit hatte Rosenthal einen „Eisenhammer", den „Eichhammer", in dem die ausgeschmolzenen Luppen zu schmiedbaren Stabeisen „gefrischt" wurden. Der nahe Bentreff-Bach lieferte für den Hammer und die Blasebälge des Hochofens die Energie.
Für die Feuerung dieses wie für die Schmiedefeuer des Hammers lieferten die Köhlerbetriebe des Burgwaldes die Meilerkohle. Denn nur diese Buchenholzkohle war frei von Schwefel und konnte zum Frischen des Eisens wie auch beim Schmelzprozeß verwendet werden.
Hergestellt wurden sowohl Roheisen als auch Fertigwaren. Um 1764 wurde der Hüttenbetrieb eingestellt. Von nun an erhielt der Hammer das notwendige Roheisen von der Schönsteiner Hütte aus dem Kellerwald. Der Hammer lieferte Wasserröhren, Töpfe und Schmiedeeisen in Stabform. Der Betrieb wurde nicht nur kräftig „subventioniert", die benachbarten Ämter und Städte waren auch zur Abnahme bestimmter Mengen an Fertigprodukten verpflichtet. So mußten sie jährlich abnehmen: Stadt und Amt Frankenberg 50 Wog (ein Wog = 120 Pfund), Gemünden 15, Kirchhain 20, Marburg 60, Rauschenberg 20, Rosenthal 10 und Wetter 20 Wog Eisen.

Schwan auf Rosenthaler Ofenplatte

Zu den Haupterzeugnissen der Rosenthaler Hütte gehörten aber die eisernen Öfen in denen Holz und Braunkohle gebrannt wurde. Mehrere hessische Eisenhütten haben damals das Sinnbild des Schwans mit der Halskrone auf Ofenplatten abgebildet. Als sogenannte „Schwan-Platten" gehören sie heute zu den Raritäten im hessischen Eisenguß. Die seltene Darstellung des Schwanes mit der Halskrone auf einem Podest läßt sich zurückführen auf die Ehe des Landgrafen Karl mit einer Tochter des dänischen Königs Christian V. Sie hatte diese Wappenfigur mitgebracht. Ende des 17.Jahrhunderts tauchte das Schwanenmotiv auch auf Münzen des Landgrafen Karl auf.
Der Sockel unter dem Schwan zeigt in einem Feld den hessischen Löwen, in einem anderen das Monogramm des Landgrafen „C"arl, zwei gegenläufig gegebene „C". Über dem Bild des Schwanes ein Schriftband mit dem lateinischen Motto „CANDIDE ET CONSTANTER", übersetzt: „rein und standhaft". Den unteren Rand der Ofenplatte ziert die Inschrift: „ROSENTHAL, ANNO 1696"

Auf seltsamen, fast abenteuerlichen Umwegen ist nach fast drei Jahrhunderten ein solches Stück alter Rosenthaler Handwerkskunst an seinen Entstehungsort zurückgekehrt. Die im Jahr 1696 in der landgräflichen Eisenhütte in Rosenthal gegossene Ofenplatte mit dem Motiv des Schwanes hat nun seit Jahren einen ehrwürdigen Platz im Sitzungssaal des Rosenthaler Rathauses gefunden.
Das Schwanmotiv -als Sinnbild für Reinheit und Stärke (1696)- und der Pelikan -als Sinnbild des Opfertodes Christi (1727)- stammen aus der Regierungszeit Landgraf Karls von Hessen. Beide Ofenplatten wurden im landgräflichen Hammer zu Rosenthal gegossen und sind im Museum Schloß Wilhelmsburg in Schmalkalden mit anderen Exponaten ausgestellt.

Das Ende des Eisenhammers

1864 geriet der Absatz der Fertigprodukte ins Stocken. Die Produktionsmethoden waren anfangs noch sehr primitiv und konnten im Laufe des 19. Jahrhunderts nicht mit der Konkurrenz im Rheinland und Westfalen mithalten, da man hier mit ergiebigeren Erzvorkommen und der gegenüber der Holzkohle leistungsfähigeren und billigeren Steinkohle rechnen durfte. So entschloß man sich die Kohlevorräte aufzubrauchen und die Produktion einzustellen. Die Stadt Rosenthal protestierte 1867 gegen die Schließung des Eisenhammers, doch der Protest blieb erfolglos.
So gehört das Rosenthaler Eisenwerk am Rande des Burgwaldes heute der Vergangenheit an. An den Eisenhammer erinnern in Rosenthal nur noch Flurnamen wie „Schlackenpfad" oder der Teich, natürlich auch die „Schwan - Platte" im Rathaus.

Im Jahr 1867 ging der „Eisenhammer" mit Ackerland, Wiesen, Garten und Teich in das Eigentum des Müllers Johannes Ungemach zu Langendorf über. Johannes Ungemach führte mit dem kurhessischen Staat einen Prozeß. Der Hammerverwalter staute nachts das Wasser, so daß der Langendorfer Müller am Mahlen gehindert wurde. War aber der Hammer in Betrieb, so erhielt der Langendorfer Müller so viel Wasser, daß er es nicht verwenden konnte. Mit dem Kauf erledigte sich der Prozeß von selbst. Durch Anschlagsvertrag gelangte 1873 der Hammer in den Besitz des Mühlenbauers Georg Bromm aus Rauschenberg. Der Mühlenbetrieb ist schon seit langem eingestellt. Heute ist der „Hammer" an Rosenthals Südgrenze „nur" eine reine Wohn-Immobilie.

Helmuth Vaupel
-Obmann für historische Grenzsteine um Rosenthal-

Quellenangaben:
Gestern und Heute - Zeitschrift Burgwaldverlag Schönstadt
Der Burgwald - von Dr. Heinrich Boucsein von 1955
Heimatbuch der Stadt Rosenthal - von Fritz Himmelmann von 1939
Flyer Region Burgwald - Hugenotten und Waldenser im Burgwald